Die TS Jahn München muss in der nächsten Saison ohne Vincent Kelnberger und Federico Semino auskommen. Das gab der Ältestenrat der Herren-1 in einer Sondersitzung kurz vor Trainingsauftakt bekannt. Zudem gab Vincent den Vorsitz der Spielergewerkschaft mit sofortiger Wirkung ab. Federicos Weggang ist vor allem marketingtechnisch ein großer Rückschlag, da nach Harti (2018) und Alvaro (2019) nun erneut der bestaussehende Spieler der Mannschaft vor dem zu erwartenden Medienrummel flüchtet. Vertreter der Ü30-Fraktion äußerten sich besorgt und befürchten, nun spielerisch und medial wieder mehr Verantwortung übernehmen zu müssen.
Jahn-Eintritt in der U12, getrennte Jahre in der U14-Bayernliga, dann gemeinsame Jahre in der JBBL und NBBL - Federico (Jahrgang 2002), und Vincent (2001) haben das volle Programm hinter sich und ziehen nun jeweils studienbedingt von dannen. Direkt nach Zahlung von einer Kiste Alkoholfreiem sollen ihre Verträge noch im Herbst dieses Jahres aufgelöst werden. Damit verlassen zwei spannende, aber auch grundlegend verschiedene Charaktere die Turnerschaft, die das Vereinsleben, jeder auf seine Weise, sportlich geprägt und außersportlich bereichert haben.
Hier der nachdenkliche und besonnene Vincent – seine eleganten Bewegungen mit und ohne Ball lassen die Unwissenden stets glauben, dass er sich nicht richtig anstrengt, und seine monoton und in Zeitlupe vorgetragenen Geschichten, die meist mit „ich muss dir was erzählen“ beginnen, bleiben den Zuhörern zumindest in puncto Vortragsweise in guter Erinnerung. Wie kann ein einzelner Mensch so langsam reden? Dabei ist der Inhalt durchaus interessanter als bei den meisten anderen Halbstarken und Vincents humanistisch geschulter kritischer Geist ermöglicht Gespräche, die weit über die klassischen Kabinenthemen Basketball-Schuhe, Frauen und Stammstreckensperrung hinausgehen. Auf dem Feld hingegen stößt seine antiautoritäre Ader nicht immer auf uneingeschränke Zustimmung und Trainer mit Kontrollzwang sollten sich die Einwechslung des Freigeistes gut überlegen. Le système, c’est les autres.
Oder ist Vincent etwa genau der kreative Rulebreaker, der eine funktionierende Mannschaft mit seinen neuen Impulsen auf das nächste Level heben kann? Auch dafür gibt es valdie Argumente und schließlich kann ein guter Trainer, schlechte gibt es im Jahn bekanntlich nicht, ohnehin mit jedem Spielertypen umgehen.
Wie anders ist da Federico: Regeln versteht er, Regeln mag er, Regeln fordert er bis ins letzte Details von seinen Teamkollegen ein, nur er selbst vergissst sie leider, sobald das Spiel erstmal losgeht. Seine Aktionsschnelligkeit nimmt proportional mit der Wichtigkeit des Ereignisses zu, die intensitätsbedingten Nebenwirkungen sind unterdessen nicht ausschließlich positiv und kontrollierbar schon gar nicht. Immerhin, bei dem temperamentvollen Italiener weiß man genau was man kriegt, nämlich wohldefiniertes Chaos. Sein Arbeitstag beginnt standardmäßig mit einer Auswechslung wegen Foultroube nach drei Angriffen und endet mit Glanzmomenten im vierten Viertel, in denen es ihm gelingt, minutenlang trotz Puls von 195 sauber zu verteidigen, mit dem einen verbliebenen Foul to give hauszuhalten und wichtige Ballgewinne oder den einen wertvollen Zug zum Korb beizusteuern.
So kommt es nicht selten zur erstaunlichen Diskrepanz zwischen Publikumswahrnehmung „der Fede hat ja wieder toll gekämpft, das Zuschauen macht richtig Spaß“ und der Trainereinschätzung, die hier aus Wahrung von Persönlichkeitsrechten leider zensiert werden musste.
Vincent taucht in den Trainerakten erstmals im Herbst 2011 auf und zunächst als Fußballerkumpel von Philipp. Schon nach kurzer Zeit darf er die ersten Spiele in der U12-1 bestreiten und wieder einmal bewahrheitet sich, dass sportliche Kinder im Minibereich schnell Fuß fassen. Weniger Monate später ist er unverzichtbarer Bestandteil der U12 und wird den 2001er Jahrgang von nun an prägen. In der Saison 2013/2014, nach zwei Jahren Basketball, wird Vincent mit seiner Mannschaft Bayerischer Meister in der U14. In den Folgejahren gehört er in den Nachwuchsbundesligen JBBL und NBBL als zuverlässiger zweistelliger Scorer zu Jahn’s Stammkräften.
Sein persönliches Highlight ist der erste Herren-1-Einsatz gegen Landsberg 2, als er ein Lob von Eisen bekam. Aus Vereinssicht ist ihm seine Leistung in der NBBL-Qualifikation 2018 wohl noch etwas höher anzurechnen, vor allem seine klugen Entscheidungen im Pick-and-Roll haben maßgeblich zu der perspektivisch so wichtigen Ligazugehörigkeit beigetragen.
Auch Federicos erste Bekanntschaften mit der Turnerschaft waren im U12-Alter. Nach dem Minicamp 2013 stieß er zu Jahn’s U12 und wurde mit dem Team in der Saison 2013/2014 prompt Bayersicher Meister. 2016 erreicht seine U14 das Top8, wo man denkbar knapp gegen Kronberg ausschied (51:54). Zwei Jahre später in der JBBL sollte es wieder nicht ganz für eine Medaille reichen, nach einem 63:67 im Entscheidungsspiel gegen Ludwigsburg ist im Viertelfinale Schluss. Federico setzt in diesen Jahren als Kapitän den Ton auf und neben dem Spielfeld und führt seine Mannschaften, die ohne Kaderathleten und unterm Strich mit einem Haufen mittelmäßig talentierter Spieler antreten, zu bemerkenswerten Leistungen. In den wichtigen Spielen legt der Energizer selbst Hand an und übernimmt in den richtigen Momenten die Verantwortung.
Das gilt ebenso in der NBBL, als er zum Beispiel 2019 im Playdown-Spiel gegen Urspring mit drei von vier Dreiern großen Anteil an Jahn’s Klassenerhalt hat und – noch wichtiger – die anschließende Party rettet. Gerne hätten wir Federico noch ein weiteres Jahr in der NBBL spielen sehen und der 2002er Jahrgang hätte ihm sich sicherlich noch einmal gerne untergeordnet. Für die Kapitänsrolle ist nun die Mama von Robert vorgesehen [Bildrechte entzogen]
Auf ihren jahrelangen Einsatz in Jahn’s Jugend können beide zurecht stolz sein - das betrifft die eigenen Leistungen und Erlebnisse gleichermaßen wie ihre Hinterlassenschaften für die nachfolgenden Generationen. Im Herrenbereich sind Vincent mit elf und Federico mit sieben Einsätzen dem Verein indessen noch einiges schuldig und gerade als sie der Herren-1 so richtig hätten helfen können, entziehen sie sich feige der Verantwortung. Doch wir rechnen fest mit, dass die Deserteure nach ihren Studium wieder zurückkehren und halten solange die Kaderplätze 29 und 30 für sie frei. Federico hat dann als Wirtschaftsingenieur hoffentlich seinen basketballerischen Wirkungsgrad erhöht und den Unterschied zwischen maximaler und optimaler Eingangsleistung verstanden und Vincent sollte durch sein Geschichtsstudium gelernt haben, wie man sich in autokratischen Systemen verhalten muss, um es bis ganz nach oben zu schaffen. Wir sind gespannt!
Zurück